Aus Schaden wird man klug

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Die Auswirkungen der Corona-Pandemie, dazu Dauerbrenner-Themen wie die Schadensteuerung und Digitalisierung bestimmten den in diesem Jahr aufgrund der ausgefallenen Automechanika erstmalig digital stattfindenden Schadentalk.

Ein durchaus interessantes Personaltableau fand sich am 10. September in der gläsernen Manufaktur von Volkswagen in Dresden ein, um über die gegenwärtigen Themen zu diskutieren, die vor allem die Karosserie- und Lackbetriebe bewegen.

Lockdown, Lack down

Alle Marktteilnehmer, seien es die Lackhersteller, vertreten durch Tomas Brefeld (BASF Glasurit), Benjamin Burkard (AkzoNobel) und Thomas Leuchten (PPG Nexa Autocolor), oder die K&L-Werkstätten, repräsentiert von den Jungunternehmern Michaela Müller (BMK Müller Karosserie & Lack), Maximilian Kogelheide (EK-Fahrzeugtechnik GmbH) und Eric Müller (ATM Autoteile Müller), bekamen die Auswirkungen des Corona-Lockdowns mehr oder weniger massiv zu spüren. Während die Hersteller vor allem damit beschäftigt waren, ihre Lieferfähigkeit trotz der Mitarbeiter im Home-Office und teilweise fehlender Glieder in der Lieferkette aufrecht zu erhalten, mussten die Betriebe das plötzliche Einbrechen des Auftragsvolumens verkraften und möglichst kompensieren.

Michaela Müller wurde in ihrem Standort Marbach sehr kreativ und reagierte mit verschiedenen neuen Services, etwa indem sie Fahrzeuge für den Corona-sicheren Personentransport ausstattete und damit Fahrmöglichkeiten für alte Menschen organisierte, etwa auch für die örtliche Diakonie. Daneben nutzte sie die geringere Auslastung dazu, länger aufgeschobene Kundenprojekte, etwa die Restaurierung von Oldtimern, jetzt in die Werkstatt zu holen.

Ähnlich fingen auch die anderen Betriebe die Lücken auf, die teilweise auch durch das Ausbleiben von gesteuerten Schadenvermittlungen entstanden, auch indem etwa ein entstandener Rückstau abgearbeitet wurde – immer mit dem Ziel, die vorhandenen, gut ausgebildeten Mitarbeiter auch in der Krise halten zu können. Konsens unter den jungen Betriebsinhabern: Man sollte unternehmerisch möglichst breit aufgestellt sein, um in der Krise plötzliche Ausfälle abfedern zu können.

Maximilian Kogelheide handelte sogar antizyklisch, indem er mitten in der Krise in einen Neubau investierte und demnächst den ersten digitalen Fahrzeugscanner in Betrieb nimmt – auch weil ihm die Krise endlich die Zeit bot, die vorhandenen Planungen umzusetzen.

Generell kamen sowohl Hersteller, als auch die Werkstätten zu dem Resümee, dass der Lockdown kurzzeitig erhebliche Einbrüche verursachte, die Auftragslage sich aber auch schnell wieder erholte, ohne allerdings bis heute wieder ganz das vorherige Niveau zu erreichen.

Während sich die Lackhersteller und die K&L-Betriebe somit weitgehend einig waren und erstere letztlich auch die Frage danach, ob die Lacke wegen der Lieferengpässe und steigender Rohstoffpreise künftig teurer würden, unbeantwortet ließen, war es dem Thema Schadensteuerung vorbehalten, den kontroversen Höhepunkt des Talks auszumachen.

Ohne Schaden keine Steuerung

Was vermutlich viele Bürger und nicht zuletzt auch das Weltklima als Wohltat empfanden, nämlich die drastische Verringerung des Autoverkehrs während des Corona-Lockdowns, das war für die Schadensteuerer und deren Partnerbetriebe ein harter Schlag ins Kontor: Im Mittel 46% weniger Verkehr, in den Großstädten sogar noch mehr, bedeuteten auch dramatisch weniger Blech- und Lackschäden, die den Versicherern gemeldet wurden. Und da sich bei den Versicherungen auch viele Mitarbeiter im Home-Office befanden und teilweise die dadurch erforderlichen digitalen Übertragungswege noch nicht reibungsfrei funktionierten, haperte es dann auch noch an der Weitervermittlung an intermediäre Schadensteuerer und an die Partnerbetriebe.

Am Ende der Wertschöpfungskette litten die Partnerbetriebe der Schadensteuerer am meisten unter dem wegbrechenden gesteuerten Volumen. Die gute Nachricht: Auch in diesem Bereich gab es nach Ende des Lockdowns eine Erholung – aber eben nicht bis auf das vorherige Niveau.

Ludger Kersting vom Schadensteuerer SPN geht auch nicht davon aus, dass dieses Niveau jemals wieder erreicht werden könnte, da jetzt vermehrt im Home-Office gearbeitet werde und entsprechend ein Teil der mit dem Auto zurückgelegten Arbeitswege entfalle. Zugleich stellte er aber fest, dass es bei SPN im Vergleich zum Vorjahr inzwischen mehr Schadensteuerungsfälle gebe – und glaubt, dass das „Steuerungsvolumen im Privatkundenbereich noch nicht ausgeschöpft“ sei.

Auch Matthew Whittall vom Schadensteuerer Innovation Group sieht einen schrumpfenden Markt, zumal manche Effekte im Flottengeschäft erst zeitverzögert kämen, etwa weil große Unternehmen Zehntausende Mitarbeiter entlassen müssten, was auch eine Verkleinerung der Flotten nach sich ziehe. Ebenso wie Kersting glaubt er aber, dass die Versicherungen künftig mehr Verträge mit Werkstattbindung und vereinbarter Schadensteuerung abschließen dürften: „Der Wille zur Steuerung ist da, aber erst jetzt nach den Sommerferien kommt auch das Volumen dafür.“

Für die HUK-Coburg sitzt Thomas Geck auf dem Podium. Er sieht die Lage weniger problematisch. Die HUK wisse über ihre Telematik-App schon länger, was mit dem Fahrtenvolumen passiere. Seine Analyse: Langstreckenfahrten haben drastisch abgenommen, aber dafür Kurzstreckenfahrten enorm zugelegt – und da passieren letztendlich die meisten Unfälle und Parkrempler. Bei der HUK liege man derzeit nur noch 5% unter dem Vorjahresniveau.

Leistungsbaustelle

Ein Dauerbrenner-Thema, womöglich noch mehr zu Zeiten der Corona-Krise, bleibt die Vergütung der Reparaturleistungen der Betriebe durch die Schadensteuerer. Da diese auch ein Stück vom Kuchen abhaben und die zahlungspflichtigen Versicherungen zugleich Geld sparen wollen, kann beim K&L-Betrieb nicht dasselbe Geld ankommen, als würde er seine Arbeitsstunden regulär berechnen.

Der Bundesverband der Partnerwerkstätten (BVdP), vertreten durch Reinhard Beyer, hat einen durchschnittlichen Stundenverrechnungssatz der Schadensteuerer von etwa 84 Euro errechnet – kostendeckend wäre aber nach Ansicht der Partnerwerkstätten ein Betrag von rund 96 Euro pro Stunde.

Die Innovation Group hat der BVdP offenbar als Billigheimer ausgemacht, denn dort betrage der Verrechnungssatz nur 66,50 Euro. Matthew Whittall argumentiert, dass zu diesem Basis-Stundensatz noch „Leistungsbausteine“ kämen, aber Beyer bleibt hart: Das seien maximal 12 Euro, mithin also maximal 78,50 Euro – viel zu wenig. Whittall kontert nicht ganz zu Unrecht, dass ja kein Betrieb seine Arbeit für weniger als 96 Euro anbieten müsse. Er wolle auch nicht, dass die Leute verhungern.

Peter Börner, der nicht nur als Präsident des Berufsverbandes der Karosserie- und Fahrzeugbauer (ZKF) in der Runde sitzt, sondern auch als Mitglied des Vorstands der EuroGarant Auto Service AG, also eines Schadensteuerers im Flottengeschäft, schlägt sich ganz auf die Seite der Partnerbetriebe: Er glaube, es fehle einfach der Mut, gegen das Preisdumping vorzugehen. Wenn der Betrieb dem Schadensteuerer sage, dass er mehr Geld benötige, dann bekäme er eben den Auftrag nicht mehr, sondern sein Konkurrent.

Andreas Brodhage, der für den Schadensteuerer Global Automotive Repair spricht, wirbt dafür, dass sich der freie Markt besser gemeinsam und einträchtig aufstellen möge, um der markengebundenen Konkurrenz stärker gegenüber treten zu können.

Damit haben die im Talk vertretenen Betriebe kein Problem – aber um auch künftig den Anforderungen der Schadensteuerer an einen modern aufgestellten Betrieb genügen zu können, brauche es beständige Investitionen, um auch mit der Entwicklung der Fahrzeugtechnik Schritt halten zu können, und dafür eben genug Geld.

Letztlich kommt man nach ausufernd langen Diskussionen nicht wirklich auf einen gemeinsamen Nenner – es bleibt ein Dauerbrenner.

Digital oder Gedöns?

Das Thema Digitalisierung ist ebenfalls ein Dauerbrenner der letzten Jahre. Die Schadensteuerer wie Innovation Group oder Versicherungen wie die HUK-Coburg arbeiten an eigenen Lösungen für die Digitalisierung der Auftragsvergabe, unter anderem mit dem Dienstleister Gudat Solutions.

Jörg Gudat bringt es auf den Punkt: „Digitalisierung ist als Begriff ein bisschen schwierig, nicht so leicht greifbar. Ist eine Excel-Tabelle schon digital? Bewegt man sich da schon in einem digitalen Prozess? Ich würde das eher über das Thema Vernetzung sehen. Wenn wir tatsächlich alle im Boot haben, die in der Wertschöpfungskette sind, also eine durchgehende Prozesskette, die wirklich alle digitalen Themen aufgreift und auch Insellösungen abschafft.“

Hier stimmt Thomas Geck von der HUK-Coburg gern ein: Es müsse der Sinn der Digitalisierung sein, den Admin-Aufwand für die Werkstätten zu verringern und dem Kunden ein schnelles Feedback über die Terminvergabe zu geben. Das mit Gudat entwickelte System sei auch offen für andere Schadensteuerer. Matthew Whittall zeigt sich aufgeschlossen: Er habe schon mit Gudat darüber gesprochen. Er wolle die Prozesse für die Werkstätten und die Kunden besser machen, dabei sei es ihm egal, ob der Kunde selbst seine Daten eingebe, oder ob die Daten über eine andere Plattform kämen.

Über das, was Digitalisierung mal können soll, besteht weitgehende Einigkeit, aber darüber was sie schon kann, besteht Dissens: Reinhard Beyer vom BVdP merkt an, dass das, was er bisher als sogenanntes digitales System gesehen habe, noch lange kein K&L-System sei und nicht dem entspräche, was er sich unter einem digitalen System vorstelle. Das sei erst dann digital, wenn sein Fahrer mit einem digitalen Pad rausgehen könne, einen unterschriebenen Auftrag mitbringe, Fotos vom Schaden mache, die vielleicht dann schon vor dem Fahrer bei ihm im Betrieb seien. Dann werde es digital, aber vorher sei das alles noch – Gedöns.

Smart, also schlau, müsse sie sein, die Digitalisierung, dann sei sie eine gute Chance für die freien K&L-Betriebe, für Privat- und Flottenkunden, für Versicherer und Schadensteuerer gleichermaßen – darin besteht Einigkeit. Aber ob die Hersteller, Versicherungen und Schadensteuerer auch smart genug sind, sich für eine gemeinsame Lösung zusammenzutun, das bleibt nach wie vor abzuwarten.

Fotoquelle: Schadentalk2020-Credit_schaden.news_Udo Geisler

Autor: Holger Pinnow-Locnikar

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